
Forst
by Ulu Braun
Germany 2013, 10 minutes
During last Berlinale, you could see an exhibition in Berlin about the Germans and the forest. I am sure, Ulu Braun saw it, because his film “Forst” seems to be an appendix to the pictures of that exhibition, especially his featuring of the color red. Red rose pedals fall in the opening scene. The scene, where the naked runner escapes, is – of course – red. A red deer crosses a street. A fir tree is red, the flowers beneath the stone at the cemetery in the woods are red, red dogs running also make this point. In silent movies, the color red stand for fire, love and danger. Ulu Braun, known more as an artist for galleries and art exhibitions, uses red for alienation. His forest is a supernatural experience. Every other second you see a new collage of men, animals, trees and things that don’t really belong in a forest, like the German national flag (yes, there is red in it, too). You normally wouldn’t find tombstones along the rural running tracks or Spiderman hopping around. But the forest has always been a mystic place, a projection for legends, horror and deception. Minimal music by Max Knoth and no dialogue puts “Forst” in a line with Godfrey Reggios’s “Koyaanisqatsi” (1982). Braun is also tackling the environmental theme with the runners and hunters occupying one of the last refuges from the polluted cities. Pictures are changing fast, making a mockery of the often cited calm in the forest, leaving no breath to think or to laugh – with notable exceptions. He clearly points out how wrongly we picture a forest, putting the trees in front of a blue backdrop, benches of the German Parliament with chancellor Merkel interspersed between the tress and a fir cone smashing a red berry with the force and effect of a bomb in extreme slow motion. This moment of destruction is the only time in this astonishing and daring movie when the forest is left at peace.
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Die Tartanbahn des deutschen Waldes

Ob als dunkles Tannengehölz oder als bewirtschafteter Forst, er gilt als des Deutschen liebstes Kind: der Wald. Bereits seit der Romantik ist der Wald die Sehnsuchtslandschaft der Deutschen. Als Gegenbild zur französischen Urbanität zum nationalen Mythos beschworen wurde er im Nibelungenlied besungen und vom Freischütz durchpirscht.
Für Joseph von Eichendorff war er der „Hallraum der Seele“ und für die Gebrüder Grimm bevorzugte Kulisse für ihre Volkssagen und Märchen. Die Nationalsozialisten besetzten wie so vieles aus der Romantik auch den „deutschen Wald“. Sie bauten dort ihre Thingplätze – Freilichtbühnen, in denen der Einzelne emotional und ethisch in der „nationalen Volksgemeinschaft“ aufgehen sollte. Mit langfristigem Erfolg. Denn auch heute noch kommt in der Walpurgisnacht die von Feuer- und Fackellicht berauschte Volksgemeinschaft in diesen Kultstätten gerne zusammen, nicht nur Studentenverbindungen und Burschenschaften.
Dass der Deutsche ein ganz besonderes, vielleicht sogar abnormes Verhältnis zu seinem Wald hat, bescheinigt ihm in seinem Hauptwerk „Masse und Macht“ auch Elias Cannetti: „Das Rigide und Parallele der aufrecht stehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude.“
Heute ist der Wald Kulturlandschaft und Freizeitpark. Die mittelalterliche Miasma-Theorie, wonach die Waldluft ungesund sei, ist überholt, die Waldpädagogik hat sich mit Schulen und Kindergärten eingenistet und die Freizeitsportler keuchen und schwitzen in ihrem bunten Lycra-Outfit.
Das Ganze ist der Themenkomplex, mit dem sich der Filmemacher und bildende Künstler Ulu Braun in seiner neuesten Arbeit „Forst“ (2012) auseinandersetzt. In rund einem Dutzend Kapitel erzählt er die Geschichte des deutschen Waldes. Nicht linear – da ist keine filmische Narration -, sondern in Einzelbildern, die lose durch eine rote Tartanbahn, gleich dem berühmten roten Faden, eher assoziativ verbunden sind. Aus gesammelten Filmsequenzen und Bildschnipseln unterschiedlichster Quellen baut Braun teils krude und ungeniert kitschige aber doch faszinierende Bildwelten zusammen, die in ihrer Überhöhung den Zuschauer gleichzeitig anziehen und abstoßen und mit einem zwiespältigen Gefühl gegenüber diesem deutschen Wald zurücklassen.
Von Olaf Stüber
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Im seinem Film Forst collagiert Ulu Braun auf raue und unheimliche Weise Bildfragmente vor dem bukolischen Hintergrund eines Waldes. Da flimmern Sportbilder, flattern deutsche Olympiade-Fahnen, Menschengruppen praktizieren obskure Körper-Rituale und Kinder fliegen im Spidermankostüm; Bilder aus Kindheitsurlauben mit Klappsessel und Wohnwagen sind ebenso zu sehen wie aus dem nichts aufgetauchende Kameramänner mit voluminöser Ausrüstung oder Choreographien mit Feuer und Fackeln. Natur und visueller Irrsinn verflechten sich auf der Leinwand: Jedes Bild gleicht einem Cadrave Exquis aus roh geschnittenen Videoschnipseln auf grüner Landschaftsoberfläche. Das romantische Bild des Waldes mit seinen schmalen Pfaden, Lichtungen und dicht stehenden Bäumen wird für kurze Dauer von elektronischen Eindringlingen bewohnt. Weit entfernt von glatten und braven digitalen Transitionen, zeigen sich die elektronischen Nahtstellen. Das Kollidieren der visuellen Fragmente wird für die Zuschauer sichtbar und fordert ihr Assoziationsvermögen heraus. Die unterschiedlichen und disparaten visuellen Motive werden einem variationsreichen Katalog von Verfremdungstechniken unterzogen, die an die Anfänge der Videokunst erinnern und mit der Ästhetik analoger Technik kokettieren. Der Film bezieht seine Kraft aus der materiellen Instabilität des Bildes und seiner ständigen inhaltlichen Wandelbarkeit. Zum Takt der episch-wagnerhaften Musik von Max Knoth, übt Ulu Brauns Film Forst eine hypnotisierende Doppelwirkung durch die Aneignung des romantischen Waldbilds des collagierten Bildrhythmus aus und entwickelt eine neue Waldmythologie zwischen alltagstauglicher Irrealität und medialem Wahnsinn.
von Maria Morata (Mitglied des Berlinale Shorts-Auswahlkomitees)