Egbert Hörmann (member of our Berlinale Shorts selection committee) on “HOSANNA” by Na Young-kil
Das südkoreanische Kino ist immer für eine Überraschung gut, und es ist sehr wohl möglich, dass sich HOSANNA von Young-kil NA mit seinen gerade mal 25 Minuten als der härteste und radikalste Film dieser Berlinale erweist, sozusagen als die Kafka´sche Axt für das gefrorene Meer in uns. Es ist hier eine Radikalität zu Gange, die an TEOREMA und SALO und IM REICH DER SINNE und auch an VIRIDIANA erinnert. Ein Dorf, eine Hölle auf Erden, das Epizentrum aller Todsünden, und ein wahrhaft sprachloser Junge, eine Art Gottesnarr, der wundersam heilende Hände hat.
HOSANNA ist der ätzend scharf abbildende Spiegel eines ratlosen Universums; es gibt da kein J´accuse mehr, stattdessen eine anhaltende Frage, die von einem Gesicht zum nächsten und von einem Bild zum anderen wandert. Und es stellt sich die Frage, was oder wer diese Menschen eigentlich sind. Nichts mehr stützt sie und rechtfertigt und begründet sie: weder eine Kultur, noch eine Geschichte. Vereinzelt und quasi nackt, bar jeden Schicksals, von jeder zukunftsorientierten Planung, jeder Vision von Emanzipation, jeglicher Mythologie ausgeschlossen, verkünden sie nur, die Mühe des Lebens zu erleiden.
Der Moralist Young-kil NA zeigt uns eine Spezies, die einen fernen Planeten bewohnt, eine Gattung, die jener Vorstellung vom Menschen, wie sie die westliche Kultur während ihrer langen Geschichte entwickelt hat, ähnelt, einen matten Reflex davon darstellt.
„In dem Augenblick, in dem wir aufhören, einander festzuhalten, in dem Augenblick, im dem wir unser gegenseitiges Vertrauen brechen, verschlingt uns die See und das Licht erlischt.“ (James Baldwin) Nun, dieser Augenblick ist bereits gekommen, er ist sogar schon verstrichen. Und nun stellt HOSANNA die Frage, ob diese Leute Überlebende sind oder lebende Tote und wenn ja, was sind sie dann. Darauf gibt es keine Antwort, nur eine maliziöse Klarstellung: Diese seltsame Gattung ist eben die, zu der auch wir gehören, jener von ihnen bevölkerte ferne Planet ist der, auf dem auch wir leben.
(Egbert Hörmann)