von Christian Bomm
Viele Wege führen nach Rom, auch der des jüngeren Filmemachens. In Rom nämlich schrieb Ovid um das Jahr Null seine Geschichte von Narziss, jenem Jüngling der aufgrund seiner Arroganz und seiner abweisenden Art verflucht wurde: Über einen See gebeugt, verliebt er sich in sein eigenes unerreichbares Spiegelbild erstarrt vor Rührung und sehnt sich zu Tode. Noch in der Unterwelt soll er am Wasser gesessen sein und sich angebetet haben. Bei der Spiegelung auf den Wellen könnte man vom ersten menschlichen Bewegtbild sprechen.
Zur gleichen Zeit, Ovids Mythen machten gerade die Runde, traf ein junger Römer namens Obsius in der Stadt ein und brachte Plinius dem Älteren ein Gestein aus Äthiopien mit. Es hatte noch keinen Namen und der Naturforscher taufte es nach seinem Entdecker: Obsidian. Dieses Gestein entsteht, wenn heiße Lava in Wasser fällt und erstarrt. Die rasche Kühlung erzeugt ein schwarzes Lavaglas. Seine Bruchstellen und Kanten sind messerscharf und deshalb nutzen es Steinzeitmenschen vornehmlich als Waffen zur Jag oder im Krieg. Glattgeschliffen wurde Obsidian schon vor 10000 Jahren als Spiegel verwendet, das sieht in etwa so aus wie Kubricks Monolith in Space Odyssee, nur kleiner . Der große Vorteil des Obsidianspiegels: Das eigene Abbild wurde transportabel.
Jumpcut: Heute schauen Menschen, über Smartphones und Tablets gebeugt, ihre virtuellen Ebenbilder an, zeichnen sie auf, verbreiten sie im Internet und erzeugen Content. Das Netz ist voll mit narzisstischen Selbstdarstellungen und Ratgebern und überhaupt: Bezieht man Youtubefilme bestimmter Längen ins Spektrum der Kurzfilmgenres ein, haben jene Formen, bei denen Kamera, Regie und Darsteller in einer Person zusammen kommen, einen hohen Anteil. Autorenproduktionen neuerer Schule, könnte man sagen. Manchmal kommt dabei nicht nur Content, sondern ein Film mit Inhalt raus.

In der Festivallandschaft des Kurzfilms hielt der Smartphone-Film auch recht bald Einzug. Den GOldenen Bären gewann 2011 PARKing Chance‘s Kurzfilm NIGHT FISHING, der komplett mit einem iPhone gedreht wurde. Und schon 2008 schoss Markus Wambsganss seinen Film IN URANIAS mit einem Handy. Er filmte jeweils Reisen in den USA und dem Iran. Darüber legte er Jasmin Tabatabais Stimme, die den inneren Monolog eines iranisch-amerikanischen Moslems spricht. Das narzisstische Prinzip des Ichs im Hier und Jetzt muss also per se nichts schlechtes sein – Selbstreflexion eben, bestenfalls Selbsterkenntnis. Und die war ja das höchste Ziel der alten Griechen und Römer, wenn sie nachdenklich in ihre Spiegel aus Silber oder Obsidian schauten.
Obsidian besteht im Übrigen bis zu siebzig Prozent aus Kieselsäure Si(OH)4 . Spaltet man die Säure auf entsteht Siliziumdioxid, das wichtigste Produkt zur Herstellung von Computerchips. Smartphones, Tablets und Digi-Cams sind also damit die Urenkel der steinzeitlichen Werkzeuge, Waffen und Spiegel. Doch war der Obsidan mit seinen Einsatzmöglichkeiten entweder Mittel zur Selbstzerstörung oder Selbsterkenntnis, sind seine heutigen Verwandten immer beides: Jedes aufgenommene Video, jeder kurze Smartfilm sind auch Informationen in einem Techno-Krieg. Selfie-Partyvideos beenden Karrieren, Dokumentationen von Straßenunruhen stürzen Diktaturen. Waffen sind eben auch zur Verteidigung da, man darf es nicht allzu schwarz sehen.
Insofern ist der auf dem Handy gedrehte Film nicht nur minderes Youtubematerial sondern subversiv, bisweilen avantgardistisch, und bringt neue Impulse in die Kurzfilmproduktion. Nicht nur ästhetisch, auch inhaltlich und vor allem in der Herstellung, die flexibler und oftmals förderfrei zu hoher Qualität und großem Publikum führen kann (Reichweite sagt man heute bei Filmen im Netz, Wurfweite sagte man bei Speerspitzen). Auch wenn man hier noch immer von einer kleinen Menge im riesigen See der Contentproduktion spricht, in dem sich neue Generationen von Filmemachern spiegeln.
In Uranias from mrks.16 on Vimeo.
Weißblende: Dreht sich die Menschheit seit Jahrtausenden tatsächlich um sich selbst und das immer gleiche Material der Selbst-Erkenntnis und Selbstzerstörung, so sorgt doch das Kreisen heute für viele neue Möglichkeiten, Sprachen und Bilder kurzen Films. Und das muss man einfach auch mal positiv sehen. Ich fange jetzt an, einen Film über Elektroschrotthalden in Äthiopien machen. In diesem Sinne: Ermächtige dich selbst! Erkenne dich selbst! Mache Filme!
Christian Bomm studierte Kunst und visuelle Kommunikation an der Bauhaus-Universität in Weimar. Er diplomierte mit zwei Filmen zu Mikrotechnologien, Mythen und Reflexion. Seit 2013 arbeitet er für die Berlinale.