
Egbert Hörmann (Mitglied des Berlinale Shorts-Auswahlkomitees) über „Sky Lines“ von Nadine Poulain
Von der träumerischen Entschleunigung des Blicks… Wenn ein japanischer Maler ein Bild beginnt, lässt er sich stundenlang Zeit dazu. Er zerkleinert den Tuscheblock, er bindet die Pinsel neu, er bereitet das Papier vor. All das, um vielleicht nur einige schnelle Striche auszuführen. Das Ritual, die Feier der Kunst. Feier einer Kunst ohne Zwänge, grenzenlos und frei. Hier schaffen die Linien die Illusionen, aber die schwarzen (oder weißen) Flächen definieren die Linien…
Kondensstreifen – wie lässt sich deren Faszination erklären, die allen Menschen eigen ist? Es ist ein ganz besonderes Schauspiel, das Raum gestaltet und uns Raum-, Unendlichkeits- und Transzendenzempfinden schenkt, bis es sich auflöst und verschwindet. Sky Lines (Nadine Poulain) ist das filmische Äquivalent dieser himmlischen Erscheinung. Der freie Flug der Formen. Rein malerische Flächen. Die Schaffung einer neuen Ordnung. Sky Lines erinnert mit seinen Raum- und Linienkonstruktionen an russische Avantgardekünstler wie Malewitsch, Rodtschenko und Popowa etwa (aber auch an Objekte von Brancusi) – ein suprematistisches Filmpoem, ganz auf der Höhe der Zeit.
Egbert Hörmann