RAINER KOHLBERGER ÜBER SEINEN FILM »KEEP THAT DREAM BURNING«

In German language!

Rainer Kohlberger 2017

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Noise hat mich immer fasziniert. Als ich klein war, gab es zuhause ein altes Fernsehgerät ohne Empfang. Ich habe es trotzdem eingeschaltet, in den ›Schnee‹ geschaut und an den Reglern geschraubt, um so das Rauschen zu modulieren. In gewisser Weise ein frühes Instrument. Es ist für mich, wie oft verstanden, kein negativ empfundenes Prinzip – vielmehr steht es für eine Ahnung für alles Neue, das in die Welt kommt: Ein Versprechung größtmöglicher Unbestimmtheit, wie die Unendlichkeit des Meeres. Dieser Film, der von Rauschen durchdrungen ist, zeugt davon. Herausgearbeitet wurde es aus zahlreichen Filmen, vor allem solchen des Action-Kinos, also jenen in denen Explosionen im Vordergrund stehen. Dieses Kino ist seit einigen Jahrzehnten verantwortlich für die Entwicklung aufwändiger technischer Bildgebungsverfahren, in denen die Welten die wir zu sehen bekommen, mit dem Computer errechnet werden. Ein früher wesentlicher Algorithmus stammt von dem Mathematiker Ken Perlin und nennt sich Perlin Noise. Er wollte dadurch organischere Strukturen und Bewegungen ermöglichen. Erstmals eingesetzt 1982 bei ›Tron‹ wurde ihm dafür später ein Academy Award überreicht, der einzige Algorithmus der jemals diese Auszeichnung geschafft hat.

Etwas verkürzt kann man sagen, dass alle computergenerierten rauschenden Bewegungen wie Feuer oder Wasser auf diesen Algorithmus zurück zu führen sind. In einer sehr viel reduzierteren Form verwende ich die selben Formeln in meinen Arbeiten. Was mich nun hier interessiert hat, ist diese dramatischen Bildsequenzen zurück auf ihre Rohform zu reduzieren und offen zu legen. Die Transformation geschah dabei mit völlig neuartigen algorithmischen Prinzipien. Der Computer hat die Bilder ›geträumt‹. Die Maschine wurde dafür trainiert, das heißt stundenlang darauf angesetzt, die von mir erzeugten Noise-Ästhetiken so zu verstehen, dass sie andere Bilder in ebendiese gelernten Stile umwandeln kann. Diese Vorgehensweise beruht auf ›Machine learning‹, was gerade für die größte computergestützte Revolution der letzten Jahre steht. Zurückzuführen auf ›Neuronale Netzwerke‹, die es bereits seit den 1950ern gibt – allerdings erst mit der Rechenleistung von heute ihre volle Entfaltung erlangen. Ein berühmtes Beispiel ist ›Alpha-Go‹ das heuer den weltbesten Go-Spieler geschlagen hat, was erst in mehr als 50 Jahren für möglich gehalten wurde. Außerdem fahren damit Autos autonom und Online-Services erkennen Bilder und Sprache (Siri). Interessanterweise können die Forscher oft selbst nicht völlig nachvollziehen, warum diese Algorithmen so gut funktionieren, die ›Black Box‹ wird also umso undurchsichtiger. Aus dem Wunsch nach Verständnis, ist im Google lab letztlich eine völlig neue Ästhetik entstanden, die so anmutet, also ob der Computer auf LSD wäre. Die Ankündigung trug den Titel ›Inceptionism‹ –  als Verweis auf die verschachtelten Realitäten im Nolan-Film. Das Prinzip selbst ist als ›Deep Dreaming‹ in den Forschungs-Jargon eingegangen, weil es sich um sogenannte ›Deep Neural Networks‹ handelt und der Computer in gewissem Sinne die Bilder erträumt. Dieser Kurzschluss von Kino- und Computerästhetik steht gedanklich zentral in ›keep that dream burning‹.

Der Titel spielt auch auf das aktuelle Jahr an, das an dramatischen Ereignissen kaum zu überbieten ist. Unter anderem sind zahlreiche künstlerische Persönlichkeiten gestorben. Darunter auch Alan Vega, der diese Ansage im Song ›Dream baby dream‹ nuschelt und ganz oben in meiner Hitliste steht. Auf der klanglichen Ebene des Films ist in der Mitte das psychoakustisches Prinzip ›binauraler Beats‹ eingearbeitet, wodurch der schwebende Sound in ein rhythmisiertes Wabern übergeht, das nur in den Gehirnen der ZuseherInnen erklingt.

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